Die Kavallerie der Normannen in der Schlacht von Hastings 1066

Das Bild, das der berühmte Teppich von Bayeux zeigt, scheint eindeutig zu sein: In der Schlacht von Hastings 1066 prallen zwei Welten aufeinander. So detailreich wie kaum ein anderes Bilddokument des früheren Mittelalters stellt der Wandbehang aus dem 11. Jh. in einer Art gesticktem Comic die Ereignisse dar, die zur Eroberung Englands durch den normannischen Herzog Wilhelm führten.

Am Ende des Teppichs sieht man die Kavallerie der Normannen, wie sie in enger Formation gegen ein Heer von englischen Fußkriegern ansprengen, die sich mit vorgereckten Schilden und erhobenen Lanzen zu verteidigen versuchen. Wem der Sieg gehören wird, daran lassen die Bilder keinen Zweifel. Denn wie könnten die Kämpfer zu Fuß gegen diese Übermacht von gepanzerten Reitern bestehen, die noch dazu von zahlreichen Bogenschützen gedeckt wird?

Kavallerie der Normannen auf dem Teppich von Bayeux

Der Angriff der Kavallerie der Normannen auf dem Teppich von Bayeux, Stickerei auf Leinen um 1070. In der Schlacht von Hastings 1066 greifen die Reiter der Normannen den Schildwall der Angelsachsen an. Ihre Lanzen führen sie mit einer Hand von oben nach unten.

Den Teppich von Bayeux kann man im Original im Centre Guillaume le Conquérant in Bayeux/Frankreich sehen

Eine tatsächliche Übermacht?

Es ist verführerisch, daraus zu folgern, in dieser denkwürdigen Schlacht, die die Geschichte Englands in neue Bahnen lenkte, hätte eine modern ausgerüstete, hochmilitarisierte Armee gegen ein Heer aus Bauernkrieger gewonnen, die immer noch überkommenen Traditionen anhingen. Nach alter Sitte saßen die Angelsachsen, die auch in England immer noch viele ehemals germanische und skandinavische Traditionen pflegten, wie ihre Vorfahren am Rande des Schlachtfelds von ihren Pferden ab und kämpften zu Fuß. Und tatsächlich sollte Hastings die letzte Schlacht sein, die ein angelsächsisches Heer in der herkömmlichen Weise schlug.

Mit dieser Schlacht habe das Hochmittelalter endgültig das Frühmittelalter abgelöst, folgerten viele Historiker. Allerdings stellt die Bildstickerei, die aufgrund ihres großen Detailreichtums gerne als verlässliche Quelle herangezogen wird, die Situation verzerrt da. Nur ein geringerer Teil des normannischen Heeres, mit dem Herzog Wilhelm von der Normandie im Herbst 1066 über den Kanal setzte – nur rund ein Viertel bis ein Drittel der Truppen – war tatsächlich beritten. Auch die Normannen führten immer noch die schwere Infanterie als den Kern ihres Heeres ins Feld. Darüber hinaus war die Art der Bewaffnung der Kämpfer auf beiden Seiten nahezu identisch.

Deshalb sollte man die Überlegenheit der Kavallerie der Normannen, die in den Geschichtsbüchern gerne hervorgehoben wurde, relativieren: Als eine Einheit von Reiterkriegern, die selbst noch viele frühmittelalterliche Züge aufwies – die jedoch auf das Rittertum des Hoch- und Spätmittelalters bereits voraus deutete.

Kavallerie der Normannen im Reenactment der Schlacht von Hastings 2006

Die Kavallerie der Normannen im Reenactment der Schlacht von Hastings im Jubiläumsjahr 2006, in Battle in England. Über 3000 Darsteller aus ganz Europa stellten die Schicksalsschlacht nach.

Die Normannen werden fränkisch

Nur 150 Jahre vor der Schlacht von Hastings kämpften die aus Skandinavien kommenden Normannen selbst noch zu Fuß, mit Rundschild, Schwert oder Axt und Bogen. Als Seeräuber überfielen sie die Küsten Europas, suchten Klöster und Flusshäfen heim. Allerdings erkannten sie die Vorteile des berittenen Kampfes, wie er im Frankenreich praktiziert wurde, und seit der Karolingerzeit immer organisiertere Züge annahm, sehr schnell. Auch sie stiegen nun in den Sattel, waren damit schneller und beweglicher und konnten die Überfälle damit auch auf befestigte Städte ausdehnen.

Erst als der karolingische Kaiser Karl der Einfältige mit dem Wikingerführer Rollo 911 ein Friedensabkommen schloss und ihm Küstengebiete im Norden Frankreichs zu Lehen übertrug, damit er dort selbst gegen nachrückende Wikinger vorging, konnten die Überfälle eingedämmt werden. Die Nordmänner nahmen das Christentum an, heirateten fränkische Frauen, und auch die fränkische Kultur fand bei ihnen Anklang. Neu war für die normannischen Herzöge die karolingische Form der Vasallität, doch erfüllten sie als Lehnsmänner des französischen Königs ihre Lehnspflichten getreulich, während sie die Instrumente dieses Lehnswesens gleichzeitig nutzten, um ihre Macht nach innen weiter zu stabilisieren.

Binnen weniger Generationen waren sie damit kulturell ins Frankenreich integriert. Auch militärisch, denn das zu dieser Zeit noch nicht formalisierte Lehenswesen zielte darauf ab, die Reiterei zu stärken – indem Land an Untervasallen abgegeben wurde, damit diese sich für den Reiterkampf im Dienst ihres Herrn ausrüsten konnten. So wird etwa in einer normannischen Urkunde des 11. Jh. der Wert eines Stück Landes, das der Ritter Geoffrey der Abtei von Jumièges stiften will, mit dem Gegenwert eines Pferdes für 30 livres und einer Rüstung von sieben livres berechnet.

Auch in den Urkunden wird der Begriff lat. miles für „Reiterkrieger“ immer öfter mit „Vasall“ gleichgesetzt. Die Pflichten der Vasallen umfassten etwa den Dienst in den Haustruppen ihres Herrn oder die Bewachung von dessen Burgen. Aber nicht nur die weltlichen Herren versorgten ihre Vasallen mit Land, auch die großen Abteien gaben Land aus, denn sie benötigten Reiterkrieger zum Schutz ihres Besitzes, oder um den Abt als Eskorte zu begleiten.

König Harold und der angelsächsische Schildwall

Der englische König Harold besetzte in Hastings mit seinem Heer den Senlac Hill. Während die Normannen auf dem Kontinent die Vorteile des berittenen Kampfes erlernt hatten, folgten die Angelsachsen noch der germanischen Tradition und kämpften zu Fuß. Auf der Hügelkuppe bildeten sie einen Schildwall.

Die Reiterei als schnelle Eingreiftruppe

Die kleinste taktische Einheit, in der die Reiter zusammen trainierten, waren schließlich fünf oder zehn Mann. Das heißt, sie übten den Formationskampf, das gemeinsame Anreiten und die schnelle Wendung. Zehn Mann werden in den normannischen Quellen auch als das Minimum angegeben, das man brauchte, um eine Mannschaft im Turnier zu bilden. Mehrere solcher Gruppen bildeten schließlich einen conroi als Einheit von 20-50 Reitern, die dem Befehl ihres Herrn oder eines magister militium folgten.

Herzog Wilhelm, der zahlreiche militärische Operationen gegen den König oder seine nordfranzösischen Nachbarn führte, hatte großen Bedarf an Truppen und versuchte deshalb, durch eine zunehmende Systematisierung des Lehnswesens darauf hinzuwirken, dass gerade die Dienste der Vasallen auf Kirchenland auch ihm zur Verfügung standen. Offene Feldschlachten, in denen sich die Reihen gegenüberstanden, versuchte Wilhelm als Befehlshaber Zeit seines Lebens zu vermeiden, denn schon das spätrömische Militärhandbuch des Vegetius, das im Mittelalter viel gelesen wurde, empfahl, die Schlacht nur als allerletztes Mittel zu wagen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft waren.

Zu verlustreich waren offene Schlachten, und für die Krieger gab es kaum Aussicht auf gewinnbringende Beute – die für sie meistens die Bezahlung und den Anreiz zum Kampf darstellte. Die anderen Möglichkeiten der bewaffneten Konfliktführung bestanden darin, Befestigungen anzulegen, um den Gegner zu belagern und auszuhungern, dessen Ländereien zu verwüsten, die Ernte zu vernichten oder zu rauben und Nachschubwege zu überfallen. In 20 Jahren militärischer Auseinandersetzung hatte Wilhelm diese Methoden perfektioniert. Und seine Kavallerie leistete ihm dabei gute Dienste, denn gerade für blitzschnelle Übergriffe war sie bestens geeignet.

Reiterangriff

2006 zeigten die zahlreichen berittenen Darsteller im Reenactment der Schlacht von Hastings, wie ein Angriff der Nomannischen Reiterei nach den Darstellungen des Teppichs von Bayeux ausgesehen haben könnte. Eine intensive Vorbereitung und training waren dafür nötig.

Die Kavallerie in Hastings

Als Herzog Wilhelm die Angelsachsen in Hastings in einer offenen Schlacht angriff, war dies für ihn also eigentlich kein charakteristisches Vorgehen. Vielleicht war es auch gar nicht so geplant, denn in den Tagen vor der Schlacht im Oktober 1066 tat er das, was er sonst immer tat: Er legte Befestigungen an und plünderte die Umgebung, um den Proviant für sein eigenes Heer sicherzustellen. Geschätzt 8.000 Mann hatte er in einer waghalsigen Überfahrt in Schiffen über den Ärmel-Kanal gebracht. Davon waren die Hälfte Fußtruppen, etwa 2.000-3.000 waren beritten und es gab 1.500 Bogenschützen – wobei die Reiter nicht anders ausgerüstet waren, als die Männer zu Fuß oder ihre angelsächsischen Gegner. Sie trugen ein knielanges Kettenhemd mit Kettenhaube, Nasalhelm und ein rundovaler Schild, Schwert und Speer bzw. Lanze. Verloren die Männer ihre Pferde, konnten sie zu Fuß weiterkämpfen.

In der Aufstellung auf dem Feld ließ Herzog Wilhelm am Morgen des 14. Oktobers jedenfalls zuerst die Bogenschützen das Feuer eröffnen, dann die Fußtruppen vorangehen, schließlich griff er selbst mit der Kavallerie an. Die Technik des Angriffs der Reiter bestand darin, gegen den Gegner anzureiten, den Speer über den Kopf zu heben und damit von oben nach unten zuzustoßen, um den Gegner über dessen Schild hinweg zu treffen. Anschließend hieß es, das Pferd schnell zu wenden und zurück zu reiten, um keinen Gegenangriff mit dem langen Speer oder der langstieligen Kriegsaxt, die die englischen huscarls meisterlich führten, zu kassieren. Denn diese Waffe war dazu geeignet, gerade den Pferden tödliche Verletzungen zuzufügen.

Und so hielt der englische Schildwall, der am Tag der Schlacht auf der Kuppe eines Hügels stand, des senlac hill, wie eine Mauer. Heraus ragten die Speere, um die Pferde auf Distanz zu halten. Immer wieder erfolgenden Angriffe der Kavallerie der Normannen, doch der Schildwall hielt stand. Er war so stark, dass die Normannen es schließlich riskierten, eine vorgetäuschte Flucht zu inszenieren, um den Schildwall von der Hügelkuppe herunter zu locken.

Links und Mitte: Reiter des Franko-Flämischen Contingents in der Schlacht von Hastings 2006. Gegen die Angriffe der normannischen Reiter führten die Angelsachsen die Huskarls (rechts) ins Feld. Mit ihren langstieliegen Äxten und begleitet von einem Schildträger konnten diese gegen Pferde kämpfen.

Mehr als berittene Speerträger

In dieser Hinsicht war die Technik der Kavallerie der Normannen noch frühmittelalterlich, was den Historiker Richard Glover dazu veranlasste, zu sagen, die Reiter seien nichts anderes gewesen als „berittene Speerträger“ – und damit heftige Debatten in der Fachwelt auslöste. Denn was auf dem Teppich von Bayeux auch zu sehen ist, ist eine zweite Art, den Speer zu führen, und zwar als Stoßlanze. Dies ist zu dieser Zeit eine neue Entwicklung, die sich im Hochmittelalter als effektiv durchsetzte. Mit unter den Arm geklemmten Lanzen ritten die Reiter in geschlossener Formation gegen die feindliche Linie, um die gegnerischen Reiter vom Pferd zu stoßen und die Linie damit aufzusprengen.

Da aber die Angelsachsen in Hastings gar keine Reiter ins Feld führten, konnten die Normannen diese Technik kaum einsetzen, bis schließlich Roger von Beaumont, ein junger Ritter, bewies, dass es auch gegen Fußkrieger möglich war, mit eingelegter Lanze zu reiten und er mit einem mutigen Ansturm eine Bresche in den englischen Schildwall riss. Von diesem Moment an, sollte sich das Kriegsglück in dieser entscheidenden Schlacht zugunsten der Normannen wenden.

Zusammenfassend kann man feststellen: Es sind in der Schlacht von Hastings keine Welten zusammengeprallt, sondern zwei etwa gleichstarke Gegner. Eine Reiterei einzusetzen, wie es in der Kriegführung auf dem Kontinent inzwischen üblich war, hat den Normannen gegen die starke angelsächsische Verteidigung zunächst kaum taktische Vorteile eingebracht. In ihren Grundzügen war die Kavallerie der Normannen noch frühmittelalterlich geprägt, sowohl in ihrer Ausrüstung, wie auch in der Taktik. Allerdings befand sie sich bereits in einer Phase des Übergangs, denn mit der Technik der eingelegten Lanze, erzielte sie erste Erfolge, und dies sollte die Zeit des klassischen Rittertums schließlich beginnen.

Buchtipp: Kristin Weber, 1066 – Die Normannische Eroberung Englands, Eschwege 2009.

Ausgewählte Literatur:

Josef Fleckenstein, Rittertum und ritterliche Welt, Berlin 2002. Stephen Morillo (Hrsg.), The Battle of Hastings. Sources an Interpretations, Sammelband, Woodbridge 1996. J. F. Verbruggen, The art of Warfare in Western Europe during the Middle Ages. From the eighth Century to1340, Amstardam/NewYork/Oxford1977.


Fotos auf dieser Seite: Kristin Weber

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