Finnland im Frühmittelalter

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Im Reich der Mitternachtssonne, Teil 2

Mit der Merowingerzeit (5. bis 8. Jh. n. Chr.) in Europa begann in Schweden und Norwegen die Blüte des Nord- und Ostseehandels. Auch die Ostseefinnen im Südwesten Finnlands suchten im europäischen Frühmittelalter Anschluss an die Handelsrouten nach Gotland sowie ins schwedische Birka. Suomi, wie die Finnen ihr Land nennen, blühte kulturell auf, einer der wichtigsten Antriebe war der Pelzhandel. Ebenso nahm die Landwirtschaft Aufschwung, so dass reiche Bauerngeschlechter entstanden, deren Führungsschicht heute über prächtig ausgestattete Waffengräber sichtbar sind.

Während in Finnland die ältesten Runengesänge und Lieder des Kalevalas entstanden, gab es aber immer noch keine einheimischen Schriftquellen und somit keine Geschichte. Bis ins Hochmittelalter dauerte in Finnland somit weiter die Eisenzeit an und die finnische Geschichte muss im Kontext der Nachbarn im Osten und Westen betrachtet werden.

Inhalt für Eilige

Die Winkingerzeit | Skandinavien wird christlich | Quellen: Adam von Bremen | Das finnische Frühmittelalter | Kreuzzüge und Heidenbekehrung

Wikinger erobern den Osten durch Handel

So unternahmen die Schweden im Frühmittelalter zunehmend Handelsfahrten über die Nord- und Ostsee, die sich nicht immer von Raubzügen unterscheiden lassen. Sie drangen nach Osten vor und entdeckten schiffbare Verbindungen über den Dnjepr bis ins Schwarze Meer sowie über die Wolga ins Kaspische Meer, wo sie mit Byzanz und der noch jungen arabischen Welt Handel trieben. Im 9. Jh. n. Chr. gründeten die schwedischen Waräger feste Handelsposten entlang dieser Wege, etwa Staraga-Lagoda, Nowgorod und Kiew und wurden auf dem Gebiet der baltischen und slawischen Völker zur herrschenden Gesellschaftsschicht.

Finnland im Frühmittelalter: Viking Centre Rosala, Langhaus

Viking Centre Rosala: Zur Winkingerzeit siedelten sich skandinavischen Händler auch in Südwestfinnland an

Die Finnen beteiligten sich an diesen weit ausgreifenden Handelsfahrten nicht, sondern organisierten ihren Handel kleinräumig. In Südfinnland und Karelien wurden bewaffnete Handelsorganisationen gegründet, die sog. Lapplandfahrer. Diese, wie zum Beispiel die „Leute von Kainuu“ (fin. Kainuulaiset), bestanden aus einem Zusammenschluss von Jägern und Händlern, die nach Lappland aufbrachen, um dort Pelztiere zu jagen und den Samen mit Gewalt Abgaben aufzuerlegen.

Freie Bauern, Jäger, Fischer und Händler

Im 10. Jh. waren die Menschen in Finnland zu Wohlstand gekommen, ohne dass sie obrigkeitliche oder gar staatliche Strukturen ausgebildet hätten. Die Bevölkerung wird auf einige 10.000 Einwohner geschätzt. Die Finnen lebten im Frühmittelalter bzw. in der finnischen Eisenzeit in regional organisierten Stämmen oder Familien-Clans als freie Bauern, Jäger, Fischer oder Händler. Oft sogar alles in einem. Große soziale Unterschiede gab es keine, nicht einmal berühmte Anführer mit einer Krieger-Gefolgschaft sind aus dieser Zeit bekannt. Die Stämme unterhielten Fluchtburgen zum Schutz ihrer Leute und gingen im Verteidigungsfall Bündnisse miteinander ein.

Finnland im Frühmittelalter: Viking Centre Rosala, Langhaus, Innen

Eine Wikingersiedung wurde auf den Scheren gefunden und in Rosala Teile daraus rekonstruiert. Hier der Innenraum des Langhauses

Die bedeutendsten Stammeslandschaften in dem immer noch vergleichsweise dünn besiedelten Gebiet waren das „eigentliche“ Finnland am südwestlichsten Küstenzipfel, Satakunta und Tavastland (fin. Häme) im Landesinneren, und im Südosten Karelien am Ufer des Ladoga-Sees. Wobei sich der Südwesten geografisch wie kulturell eher nach Westeuropa hin orientierte, Karelien und Savo hingegen gute Beziehungen zu Nowgorod unterhielten.

Im Gegensatz zur Bauern- und Stammesgesellschaft der Finnen bildeten sich im übrigen Skandinavien vor der Jahrtausendwende drei Königreiche mit einer Schicht aus professionellen Kriegern aus. Das junge skandinavische Königtum musste deshalb auf die Suche nach Land und Einkünften gehen, mit denen sie die Treue ihre Kriegerschar entlohnen konnten. Zwangsläufig fiel ihr Blick auf die „hinterwäldlerischen“ und schwach organisierten Nachbarn im Osten.

Skandinavien wird christlich

Doch erst jetzt, im 11. Jh., erreichte Skandinavien ein gesellschaftlicher Umbruch, den Westeuropa schon in der Merowinger- und Karolingerzeit durchlaufen hatte: Das Christentum setzte sich durch. Unter seinem Einfluss endeten die Wikingerfahrten. Und während die Schweden sich anfangs auf kurze Plünderungszüge nach Finnland beschränkt hatten, ohne die Bevölkerung zu unterwerfen, trieb die Kirche nun zusammen mit dem Königtum die Reichsbildung voran und wollte auch die letzten Heiden ins imperium christianum integrieren. Ob sie wollten oder nicht.

Viking Centre Rosala, Holzkirche

Rekonstruktion einer wikingerzeitlichen Kirche im Viking Centre Rossala.

Dabei geriet Finnland mit seinen Beziehungen nach Westen ebenso wie nach Osten zwischen die Fronten. In Dänemark, Norwegen und Schweden wurden christliche Gemeinden gegründet und Bistümer eingerichtet, die römische Kirche nahm Einfluss auf die Politik, denn sie betrachtete ihre Stellung dem Königtum als übergeordnet und nur der Herrschaft Gottes verpflichtet. Auf der anderen Seite der Ostsee wurde Kiew eigenständiges Fürstentum – mit dem mächtigen Herrschaftsgebiet von Nowgorod – das der byzantinischen Kultur und der griechisch-orthodoxen Kirche zugewandt war. Finnland lag wie ein Puffer zwischen den aufstrebenden Mächten in Schweden und in Russland.

Adam von Bremens wundersamer Ostseeraum

Wie wenig man in Westeuropa in dieser Zeit über den Ostseeraum wusste, zeigen die Schriften des Bischofs Adam von Bremen. In seiner Darstellung der Geschichte der Hamburger Kirche liefert er eine geografische Beschreibung des Ostseeraums, der nordischen Länder und seiner Bewohner und gibt dabei getreulich wieder, was Reisende ihm erzählt haben, während er selbst nie dort war. Je weiter die Orte von Bremen entfernt liegen, umso ungenauer und wunderlicher werden Adams Erzählungen. Finnland war für ihn unbekanntes Land. Wenn er die finnischen Stämme nicht gerade Schweden zuschlägt, verliert er sich nach Osten hin zunehmend im Reich der Legenden:

Entwerfen wir nun eine kurze Beschreibung von Sueonien oder Schweden. Dieses Land hat im Westen die Goten und die Stadt Scarane, im Norden die Wermilanen nebst den Scritefinen (Schreitefinnen, also den Samen), deren Hauptstadt Halsingland ist; im Süden aber der Länge nach das baltische Meer, dessen wir oben gedachten. Dort liegt die große Stadt Sictone (Sigtuna). Im Osten aber berührt es die ripäischen Berge, wo ungeheure Einöden, sehr tiefer Schnee und Herden menschlicher Ungeheuer den Zutritt verwehren.

Dort sind Amazonen, dort Hundsköpfe, dort Kyklopen, die ein Auge an der Stirn haben. Da sind auch die, welche Solinus Himantopoden nennt, die auf einem Fuß hüpfen und jene, die gerne Menschenfleisch essen und daher ebenso gemieden, als mit Recht unbesprochen bleiben. Mir hat der (…) König der Dänen erzählt, es pflege ein Volk vom Gebirge in die Ebene hinabzusteigen (die Samen), welches nur von mäßiger Größe sei, aber durch Kraft und Gewandtheit den Schweden arg zusetzt, und es sei ungewiss, woher diese kämen.

Adam von Bremen, Gesta 4, 25

Das Land der Weiber

Der dänische König habe ihm anvertraut, dass die Samen einmal im Jahr, manchmal auch nur alle drei Jahre plötzlich Raubzüge nach Süden hin unternähmen, berichtet der Bischof. Man müsste ihnen dann mit aller Kraft widerstehen, sonst verheerten sie zunächst das ganze Land, bevor sie wieder heimkehrten. Außerdem gebe es viele Inseln, die alle von wilden Barbaren bewohnt seien und daher von den Seefahrern gemieden würden. Auf die ominösen Amazonen geht Adam an anderer Stelle ein:

Auch sollen an diesen Gestaden des baltischen Meeres die Amazonen wohnen, was man jetzt das Land der Weiber nennt. Diese sollen nach einigen Aussagen durch den Genuss von Wasser Leibesfrucht empfangen. Andere erzählen auch, sie würden schwanger von den gelegentlich sie besuchenden Handelsleuten oder von den Gefangenen, die sie bei sich hätten, oder von Ungeheuern, die dort nicht selten sind.

Adam von Bremen, Gesta 4, 25

Wenn sie Jungen gebären, so würden diese zu Hundsköpfen – Wesen, bei denen der Kopf an der Brust wächst. In Russland sähe man sie oft als Gefangene, sie stießen gesprochene Sprache nur wie ein Bellen hervor. Wenn die Amazonen Mädchen bekämen, würden diese Schönheiten werden. Sie lebten alle zusammen und verschmähten den Kontakt mit Männern, schlügen diese sogar im Kampf zurück, wenn nötig.

Finnlands Eintritt ins Mittelalter

Im 11. Jh. war in Schweden die Wikingerzeit zu Ende gegangen. In Finnland endete jetzt die erst die Eisenzeit, und es begann das finnische Frühmittelalter. Jetzt entstehen in Südwestfinnland die ersten christlichen Gemeinden unter dem Einfluss europäischer Kaufleute. Und die erste schriftliche Überlieferung der finnischen Geschichte in den schwedischen und russischen Chroniken.

Das erste christliche (= beigabenlose) Gräberfeld wird in Finnland auf etwa 1100 datiert. Gleichzeitig breiteten sich das orthodoxe Christentum und der byzantinische Kultureinfluss von Osten nach Karelien aus. Schweden und Russland standen sich auf zwei Seiten der Ostsee gegenüber und meldeten ihre politischen, wirtschaftlichen und religiösen Interessen an dem Land zwischen ihnen an – ebenso die Dänen und Deutschen, die das Baltikum kolonisierten. 1147 erreichte der Wille zur Heidenbekehrung im Norden eine neue Stufe mit dem Wendenkreuzzug. Anstelle bis nach Jerusalem ziehen zu müssen, konnten sich die christlichen Ritter somit auch im Baltikum ihr Seelenheil sichern.

Kreuzzüge und Heidenbekehrung

Der erste schwedische Kreuzzug: 1153 brachte Kardinallegat Nicholas Breakspaer den englischen Missionar Henrik mit nach Schweden und setzte ihn als Bischof von Uppsala ein. Und sofort machte Henrik das Finnenproblem aus: Da gab es für seinen Geschmack zu viele Heiden auf der anderen Seite des Bottnischen Meerbusens. König Erik Jedvardsson von Schweden kamen die kirchlichen Ambitionen gerade recht, so dass der erste schwedische Kreuzzug gegen Finnland beschlossen und 1155/56 geführt wurde. Bischof Henrik blieb anschließend in Suomi, um im Südwesten des Landes eine Gemeindeorganisation aufzubauen. Die Finnen allerdings waren skeptisch, nicht nur dem neuen Glauben gegenüber, auch dass die Kirche Abgaben von ihnen verlangte, lehnten sie ab.

Henrik als erster Märtyrer: Eines Tages soll Bischof Henrik bei einem finnischen Bauern namens Lalli in dessen Abwesenheit übernachtet haben und sich dabei ungefragt von dessen Getreidevorräten bedient haben. Lalli war von dieser Art von Übergriffigkeit nicht wirklich begeistert – obwohl der Bischof ihm Geld hinterlassen hatte. Er verfolgte Henrik bis auf einen zugefrorenen See und erschlug ihn t mit der Axt. Mit ihrem ersten Bischof erhielten die Finnen somit gleich ihren ersten Märtyrer – der Heilige Henrik wurde zum finnischen Apostel. Kurz gesagt: Die finnische Mission lief zunächst nicht so gut.

Finnischer Ungehorsam empört den Papst

1170 meldete sich deshalb sogar der Papst zu Wort und beklagte den Ungehorsam der Finnen: Sie wendeten sich nur dann an die Priester, wenn Gefahr im Verzuge sei, und heuchelten ihre Treue, anschließend verjagten sie die Priester wieder und verfolgten diese. Als man 1187 mit der Bekehrung nicht viel weitergekommen war, sanktionierte der Papst die schwedischen Machtinteressen. Er empfahl dem schwedischen König, Ernst zu machen, und Besatzungen nach Finnland zu verlegen, um die Heiden zum Christentum zu zwingen. Das finnische Missionsgebiet im Südwesten Finnlands wurde der schwedischen Krone unterstellt.

Besuchertipp: Das Rosala Viking Centre auf einem Archipel im Südwesten Finnlands ist ein mit viel Liebe zum Detail erbautes Freilichtmuseum. Dort kann man sich nicht nur die rekonstruierten Häuser der Wikinger ansehen, es gibt auch ein Begleitprogramm, etwa mit einem Wikinger-Essen.

Teil 1: Finnland in Ur- und Frühgeschichte
Teil 3: Das finnische Mittelalter

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Benutzte Quellen und Literatur zu Finnland im Frühmittelalter:

Kalevala. Das finnische Nationalepos des Elias Lönnrot. Aus dem Finnischen übertragen von Lore und Hans Fromm, Nachdruck von 1967, Wiesbaden 2005. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum, übers., nacherz. und komment. von Hans-Jürgen Hube, Wiesbaden 2004. Tacitus, Germania. In: Publius Cornelius Tacitus, Sämtliche erhaltene Werke, neu bearb. v. Andreas Schäfer, Essen 2004. Ingrid Bohn, Finnland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2005. Eino Juttikala/Kauko Pirinen, Geschichte Finnlands, Stuttgart 1976. Eero Kuparinen (Hrsg.), Am Rande der Ostsee. Aufsätze vom IV. Symposium deutscher und finnischer Historiker in Turku 4.-7. September 1996; Turku 1998. LexMA: Stichworte: „Finnland, Finnen“; „Samen (Lappen)“; „Finno-ugrische Sprachen“. Fred Singleton, A Short History of Finnland, Cambridge 1998.

Auf dieser Seite: Fotos (c) Kristin Weber, Heidi Weber; Korrektorat: Charlotte Fondraz

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