Die Reise auf der Acheron wird zu einer Fahrt in den menschlichen Abgrund

Coverfoto: Die Höllenfahrt der Acheron

Lies auch das Interview mit D. O. Hasselmann!

Der Thriller von D. O. Hasselmann „Die Höllenfahrt der Acheron“ spielt auf hoher See. Darum geht es: London, 1765. David Flatt ist knapp 14 Jahre alt und wächst in ärmsten Verhältnissen an den Docks in der Nähe der Themse auf – bis er von einer Presser-Bande an Bord eines Frachtseglers namens Acheron verschleppt und dem Kapitän verkauft wird. Seine erste Fahrt als Schiffsjunge entwickelt sich gleich zum Albtraum: Die Mannschaft ist ungehobelt, ein seltsamer Passagier sorgt an Bord für Streit. Und das entfesselte Meer folgt einem ganz eigenen Plan. Wie schon sein erster Seefahrerroman „Im Langboot“ beruht die Geschichte von D.O. Hasselmann im Kern auf wahren Begebenheiten. Die Leserinnen und Leser werden für einige Stunden in das England des 18. Jahrhunderts entführt und fiebern bei Davids Höllenfahrt auf der Acheron mit.

Der Roman: Die Höllenfahrt der Acheron

Meine Meinung: Seeabenteuer mit Psychothrill

„Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord.“ Während ich den spannenden Seefahrts-Thriller von D.O. Hasselmann las, hatte ich dieses Lied im Kopf. Die Pest hat die Acheron nicht an Bord – aber dafür den Teufel. Und das ist genauso schlimm. Nach einem Sturm ist die Acheron beschädigt und treibt steuerlos dahin. Hunger, Durst und Hoffnungslosigkeit werden immer schlimmer. Irgendwann geht es um das nackte Überleben. Diese Not stellt jeden einzelnen Seemann auf die Probe und bringt seine wahre Natur zum Vorschein.

Der Roman „Höllenfahrt der Acheron“ ist ein psychologisches Duell zwischen den beiden Hauptfiguren David und Elijah. Der Schiffjunge David hat im Leben die denkbar schlechtesten Voraussetzungen. Er wird wie ein Sklave verkauft und steht in der Hierarchie an Bord ganz unten. Doch ein unbeirrbarer moralischer Kompass hält ihn aufrecht, während die Welt um ihn herum zerfällt. Der Geistliche Elijah hingegen kann die Schicksalsschläge des Lebens nicht so leicht wegstecken. Er gerät in eine existentielle Glaubenskrise und beschließt wie Jago in Othello, von nun an seinen dunklen Instinkten zu folgen.

Der begrenzte Raum des Schiffes wirkt für die Konflikte zwischen den Figuren wie ein Brennglas, es gibt keinen Ausweg. Niemand kann sich der Situation entziehen. Die Unmenschlichkeit nimmt immer weiter zu. Der Autor führt seine Protagonisten zu Beginn ausführlich ein. Hier ist ein wenig Geduld gefragt. Mit der gleichen ruhigen Konsequenz schildert er anschließend den langsam fortschreitenden Untergang. Und hier entfaltet der Roman seine emotionale Wucht. Leseempfehlung: In „Höllenfahrt der Acheron“ verbindet sich das spannende Abenteuer zur See mit den Elementen eines Psychothrillers!

Hörprobe: „Die Höllenfahrt der Acheron“, gelesen von D.O. Hasselmann

Interview mit D. O. Hasselmann

Dirk, worauf legst du bei einer Geschichte am meisten Wert? Was macht eine gute Geschichte für dich aus?

D. O. Hasselmann: Eine gute Geschichte erzählt vom Schicksal eines oder mehrerer Menschen. An diese Menschen zoomen wir ganz nah heran. Wir, die Leser und auch die Schreibenden, freuen und leiden dann mit diesen Figuren. Der Rest, also der Ort und Zeit, die Umstände und das Genre meinetwegen, stellen für mich nur die Kulisse der Geschichte dar. Sie sind wichtig, aber nicht ausschlaggebend für den Wert einer Geschichte.

Was hat dich zu der Geschichte in „Die Höllenfahrt der Acheron“ inspiriert, was war die Idee hinter diesem Buch?

D. O. Hasselmann: Nachdem Roman Im Langboot war für mich das Genretypische des historischen Seeabenteuers noch nicht auserzählt. Ein paar Elemente, z. B. ein atemberaubender Sturm oder eine Meuterei fehlten noch. Ich finde Geschichten für mich dann besonders spannend, wenn sie im Kern auf wahren Begebenheiten beruhen.

Der Autor liest: D. O. Hasselmann

Und da stolperte ich über ein Buch von einem gewissen R. Thomas aus dem Jahr 1838 mit dem wundervollen, aber etwas sperrigen Titel „Interesting and Authentic Narratives of the Most Remarkable Shipwrecks: Fires, Famines, Calamities, Providential Deliverances, and Lamentable Disasters on the Seas, in Most Parts of the World“. Und schon war die Kulisse gesetzt. Jetzt brauchte ich nur noch die Figuren.

Hatten Bücher wie Hornblower oder Master und Commander einen Einfluss auf dich?

D. O. Hasselmann: Diese beiden Buchreihen (liebe Seefahrer, bitte bringt mich jetzt nicht um!) sind für meinen Geschmack über weite Passagen zu technisch orientiert. Wir erfahren alles mögliche über Segelmanöver, Seeschlachten, die Namen der Segel und der Takelage, alles Dinge, für die die meisten Leser (und ich auch) heute ein Lexikon bereithalten müssten. Als Autor sehe ich mich als Storyteller einer spannenden Geschichte. Als Beispiele hierfür würde ich eher Poes „Die Erzählung des Arthur Gordon Pym aus Nantucket“ oder Londons „Der Seewolf“ anführen.

David und Elija sind das glatte Gegenteil, der eine gesegnet von engelsgleicher Unschuld, der andere hat es faustdick hinter den Ohren, kein sehr angenehmer Zeitgenosse. Welche der beiden Figuren war die größere Herausforderung? Und zu welcher hast du dich mehr hingezogen gefühlt?

D. O. Hasselmann: Das ist eine fiese Frage! Dem Schurken bei seinen Missetaten zuzusehen, bereitet einem Autor – und hoffentlich dem Leser auch – ein immenses Vergnügen. Der Kerl kennt keine moralischen Grenzen und darf alles machen, was in seinem kranken Hirn vorgeht. Und genau dafür hassen wir ihn ja auch wiederum. Der Protagonist ist hingegen in seinem Handeln eigeschränkt. Er muss zwar manche Grenze überschreiten, Kämpfe ausfechten, unterliegt aber einem moralischen Kodex. Das alles auszutarieren finde ich beim Schreiben schwieriger. Am Schluss finde ich es wichtig, den Helden der Geschichte wirklich zu mögen. Er soll mich wie ein Kumpel durch die Geschichte begleiten und mir am Ende ein guter Freund geworden sein.

Segelst du selbst, oder woher kennst du dich so gut mit der nautischen Sprache und den Details der Schiffe aus?

D. O. Hasselmann: Tatsächlich besitze ich den Sportbootführerschein See, bin jedoch kein aktiver Segler. Niemals wollte ich an Bord der Schiffe gewesen sein, die mir als Kulisse der zwei Seeabenteuer dienten!

Magst du es, wenn man als Leser in Büchern neue Fachbegriffe lernen kann? Es gibt ja auch die Ansicht, alles wegzulassen, was der Leser eventuell nicht verstehen könnte.

D. O. Hasselmann: Mit den Fachbegriffen ist das so eine Sache. Einerseits gehören sie dazu, das erzeugt Authentizität, andererseits sollen sie die Leserinnen und Leser auch nicht ermüden. Ich habe versucht, dabei einen Kompromiss zu finden. Wenn Du einen gestanden Seefahrer fragst, was er von meinen Romanen hält, wird er wahrscheinlich abwinken und Dir Dutzende technische Fehler auflisten, die mir wahrscheinlich unterlaufen sind.

Gab es einen Punkt in diesem Buch, an dem du am meisten mit dem Plot/den Figuren/der Schreibtechnik kämpfen musstest? Was war das Problem und wie hast du es gelöst?

D. O. Hasselmann: Spontan und allgemein gesagt, fällt mir das Ende des Romans ein. Hier sind die schwierigsten Fragen zu beantworten: Wer gewinnt, wer verliert? Wer überlebt oder auch nicht? Lieber ein Happy End oder wäre das zu kitschig? Ein offener Schluss? Wie ich das bei der „Höllenfahrt der Acheron“ gelöst habe, kann ich natürlich an dieser Stelle nicht verraten. Ich habe jedenfalls lange darüber nachgedacht.

Cormac McCarthy ist dein Lieblingsschriftsteller. Warum? Was hast du von ihm gelernt?

D. O. Hasselmann: Vorweg, ich möchte mich nicht mit ihm vergleichen, denn er ist ein wahrer Meister. Bei ihm sitzt jedes einzelne Wort genau an der richtigen Stelle. Die Sprache ist oft einfach gehalten, besonders bei den Dialogen, und damit entfaltet sie eine Wucht, die einen umhaut. Die Natur, die seine Figuren umgibt, spiegelt deren Seelenleben auf meist nüchterne Art und Weise. Dadurch entfaltet sich eine beklemmende Atmosphäre, die mich fesselt. Außerdem hat er in einem Interview mit der New York Times einmal gesagt, „dass er Schriftsteller nicht schätze, die sich nicht mit den Fragen von Leben und Tod beschäftigen.“ Das sind letztendlich auch die Fragen, die mich beschäftigen und interessieren. Wobei ich nicht von anderen Autoren verlangen würde, das genauso zu handhaben.

Was liegt als nächstes auf deinem Schreibtisch?

D. O. Hasselmann: Es sind leider mehr Dinge, als ich Zeit habe. Unmittelbar steht die Veröffentlichung des ersten „Schelmenkochbuches“ der Welt bevor, das sich mit den besten Rezepten rund um Hackfleisch befasst. Es trägt den Titel Hack supreme! und wurde von meinem guten Freund, dem Texaner Robert „Bob“ Doukkala geschrieben. Ich habe es lediglich aus dem texanischen Englisch übersetzt und bringe es exklusiv in Deutschland auf den Markt. Dieses Projekt – eine Art Side-Kick für mich – hat durchweg Spaß gemacht und das soll es den Leserinnen und Lesern auch vermitteln.

Dann kommt unsere nächste KommPlot-Anthologie 2023 auf die Agenda und hoffentlich in absehbarer Zeit der nächste Roman in die Tastatur. Und jetzt willst Du bestimmt auch wissen, um was es da geht, stimmt’s? Na gut, ich verrate es Euch: Es hat diesmal nichts mit der Seefahrt zu tun, ist aber nicht minder spannend. Mein Ehrenwort drauf. Der Elektriker Mike betritt frühmorgens am 11. September 2001 den Südturm des World Trade Centers in New York, um einen defekten Feuermelder in der 83. Etage zu reparieren …

Über den Autor:

D. O. Hasselmann wurde 1977 in Rheinland-Pfalz geboren. Bevor er sich mit der Schriftstellerei beschäftigte, war er Zeitungsausträger, Regalauffüller, Kontrabassist, Nachhilfelehrer, Apothekenbote, Spekulant, Aushilfe in einem Café und Hautarzt. Letztes ist er immer noch, das Schreiben wurde jedoch zu seinem Haupt-Nebenberuf.

Der Autor: D. O. Hasselmann

Er schreibt vorzugsweise im echten Norden auf der friesischen Insel Föhr. Den Themen des Meeres fühlt er sich sehr verbunden, er liebt die alten Seeabenteuer von Edgar Allan Poe oder Jack London und ist überzeugt davon, dass man dieses alte Genre wiederbeleben sollte. Beim Schreiben ergründet er am liebsten, wie sich der Mensch in Grenzsituationen verhält und was das Gute vom Bösen trennt. D. O. Hasselmann ist Mitglieder der Autorengruppe KommPlot. Mehr Infos über den Autor gibt es auf seiner Homepage: www.dohasselmann.de

Bücher:

D. O. Hasselmann, Die Höllenfahrt der Acheron, Twentysix 2022; ISBN: 9783740710330. Erhältlich überall im Buchhandel.

D. O. Hasselmann, Im Langboot, Twentysix 2019; ISBN: 9783740706265. Das Buch wurde ausgezeichnet mit dem 2. Platz beim Tolino-Media-Newcomer Preis 2020. Es ist überall im handel erhältlich.


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