Rezension: Am Fluss der Sterne von Guy Gavriel Kay

Am Fluss der Sterne
Reihe: Das Reich Kitai, Band 2
Autor: Guy Gavriel Kay
Verlag: FISCHER Tor

Eine Rezension von Gastautorin Heike Knauber

Handlung: Geburt einer Legende

Auszug Klappentext: „Die Geburt einer Legende. Nur ein Mann scheint Kitai – das Reich der Mitte – wieder zu neuer Größe führen zu können (das im ersten Band an die Barbaren aus dem Norden gefallen ist): Ren Daiyan, Heerführer, ehemaliger Geächteter, Bogenschütze von fast mythischer Gestalt. An seiner Seite: die geheimnisvolle Lin Shan, vielleicht die klügste Frau, auf jeden Fall aber die faszinierendste Frau ihrer Zeit …“

AM FLUSS DER STERNE von Guy Gavriel Kay ist historische Fiktion, angelehnt an Themen, Personen und Ereignisse der nördlichen Song-Dynastie Chinas vor und nach dem Fall Kaifengs. Die Stadt war eine der acht alten Hauptstädte Chinas, bis 1126 unter der nördlichen Song-Dynastie und von 1214–1234 Hauptstadt der Jin-Dynastie. Ren Daiyan ist der historischen Figur General Yue Fei angelehnt, einer Legende in China. Heldin Lin Shan orientiert sich an der bekanntesten Dichterin Chinas Li Qizhao.

Die beiden Protagonisten klingen zusammen hochspannend. Aber der Autor setzt den Fokus auch auf andere Charaktere, die aus meiner Sicht nicht so spannend sind. Allerdings beleuchtet er die Antagonisten sehr gut, die das Reich im Norden bedrohen. Da sind die Stämme der Xiaolu, die von Namen her an die Xiongnu erinnern, einer Verschmelzung von Steppenvölkern aus der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.  Und da gibt es im Norden noch den Steppenstamm der Altai, die noch etwas „barbarischer“ geschildert werden. Insgesamt sind die Charaktere und die Darstellung dieser Völker historisch fundiert recherchiert geschildert, auch ihre Denkweise. Die Hauptfiguren Ren Daiyan und Li Shan kommen mir jedoch etwas zu kurz in der Geschichte. Vielleicht bin ich aber auch zu romantisch eingestellt in dieser Hinsicht.

Was fehlt: Phantastische Elemente

Fantasy-Fans werden sich fragen: Und was ist mit den phantastischen Elementen? Tja, das könnte für einige Leser nicht ganz zufriedenstellend sein. Nach knapp 400 Seiten kommt das erste phantastische Element ins Spiel. Dazu möchte ich nur verraten, es geht um einen Daiji (Fuchsgeist, Fuchsfee bzw. einen Fuchsdämon) der Ren Daiyan den Kopf zu verdrehen versucht, es aber nicht ganz schafft. Der Fuchsgeist macht Ren ein Geschenk, das ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben ist, und das bei näherer Betrachtung zu Rens Fluch wird. Mehr verrate ich an dieser Stelle nicht.

Insgesamt kommen die phantastischen Elemente etwas zu kurz, was ich sehr schade finde, denn die chinesische Mythologie ist eine wahre Schatzkiste an Sagengestalten und phantastische „Tierwesen“. Ein weiterer Punkt, der mich am Konzept zur Vermarktung des Buchs etwas irritiert ist, dass FISCHER Tor mit dem Aufkleber „Game of Thrones in China“ wirbt. Es geht im Roman zwar um Politik und Macht und Intrigen, aber mit einem High-Fantasy-Epos wie „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R. R. Martin kann die Geschichte nicht mithalten. Aber das muss sie auch nicht, das Buch funktioniert bestens. Und man sollte keine Erwartungen wecken, die sich nur schwer erfüllen lassen.

Erzähltechnik und Heikes Meinung:

Die Geschichte ist auktorial erzählt. Ein allwissender Erzähler, der subjektiv und wertend in den Text eingreift, setzt die Geschichte aus den Blickwinkeln mehrerer Figuren zusammen. Der Nachteil ist, dass es dem Leser dadurch nicht immer gelingt, mit den Hauptfiguren zu „verschmelzen“ wie es bei Reflektorfiguren in personal erzählten Werken der Fall ist. Aber: Mir gefällt die gewählte Erzähltechnik. Der Autor versteht es trotzdem, Nähe zum Leser aufzubauen, in dem er die Charaktere liebevoll und tief ausgearbeitet hat. Noch ein Pluspunkt für mich: Ich liebe gut recherchiert historische Romane.

In dem Buch geht um die Veränderung einer Wohlstandsgesellschaft. Der Kaiser ist ein besserer Künstler als er ein Politiker ist. Bemerkenswert finde ich die Parallelen zu den Themen, die uns heute beschäftigen. Wie nah sind Politiker noch an den Bedürfnissen ihrer Wähler, ihres Landes und den Nöten der (Um)welt dran?

Es geht um Macht, Politik, Strategie und Kriegsführung. Im tieferen Sinne geht es auch um das Dao. (Die Lehre des „Wirkens ohne Handeln“ aber nicht zu verwechseln mit dem tolstoischen „Nichtstun“) Ich selbst bin selbst Schriftstellerin und als Leserin und Mensch, die sich dem Buddhismus verbundener fühlt als dem Christentum, kann ich ein bisschen etwas mit der Ideologie dahinter anfangen und es spricht mich auch an.

Die politischen Verflechtungen in der Geschichte sind weit und komplex und ich merke, dass ich stellenweise den Faden verliere. Es ist ein forderndes Buch. Ein Buch, das deine Aufmerksamkeit mit Erkenntnissen und schönen Momenten mit einer reichen und schönen Sprache belohnt.

Heike Knaubers Fazit:

Am Fluss der Sterne ist ein ruhiges Buch, voller tiefer Einsichten. Auch die etwas eigenwillige chinesische Poesie und Philosophie hat der Autor gut eingefangen. Für mich ist es großes Histo-Kino. Ich fühle mich auf allen Ebenen bestens unterhalten.

Über Guy Gavriel Kay:

Viermal wurde Kay für den World Fantasy Award nominiert. Im Jahre 2008 gewann er ihn dann für den Urban Fantasy Roman „Ysabel“, die Geschichte des 15-jährigen Ned Marriner, der bei seinem Vater, einem Star-Fotografen, in der Provence sein magisches Erbe entdeckt. Kays Bücher wurden in 25 Sprachen übersetzt. Und was die wenigsten über ihn wissen oder vermuten: Kay hat mit Christopher Tolkien, dem Sohn von J. R. R. Tolkien, „The Silmarillion“ herausgegeben.

Heike Knauber lebt in Schwalbach an der Saar. Sie schreibt phantastische Romane und Kurzgeschichten. Besuchen Sie ihre Homepage: Heike Knauber


Hinweis: Für die Rezension hat die Autorin weder Geld noch ein Rezensionsexemplar vom Verlag bekommen. Das Buch hat sie sich selbst gekauft.


Kristin Webers Homepage: Bestellen Sie meinen NEWSLETTER
Was ich sonst noch mache: Blogs | Bücher | Medien

Das könnte Sie auch interessieren …