Wer hat den Prinz im Labyrinth getötet? Ein Krimi aus dem Palast von Knossos
Die Insel Kreta vor 3600 Jahren
Worum es im „Prinz im Labyrinth“ geht: Der selbstverliebte Sohn der Königin Pasiphaë, Asterion, liegt eines Morgens tot in seinem Empfangszimmer. Am Vorabend hatte der Prinz mit einem Gast, Theseus von Athen, einen heftigen Streit begonnen. Nun hat der Athener offenbar in aller Eile die Insel verlassen. Auch Ariadne, die Tochter von Minas Pasiphaë und potenzielle Thronfolgerin, ist verschwunden.
Voller Rachedurst beauftragt Pasiphaë ihren Berater Daidalos mit der Untersuchung des Mordes. Doch kaum spürt Daidalos seiner ersten Fährte nach, da gerät er selbst unter Verdacht. Pasiphaë wirft ihn und seinen Sohn Ikarus in ein Gefängnis mitten im labyrinthischen Palast von Knossos …
Ein Interview mit der Autorin von „Der Prinz im Labyrinth“ Charlotte Fondraz
Charlotte, was hat dich zu der Geschichte inspiriert?
Der Mythos vom Minotaurus. Diese Sage spielt auf Kreta, vielleicht zu der Zeit, die heute minoisch genannt wird, und aus der viele wunderschöne Fresken stammen. Das bekannteste Fresko ist wohl das, wo drei Figuren über einen riesigen Stier zu springen scheinen, es ist über dreitausend Jahre alt. Als ich als Studentin auf Kreta war, habe ich mir die Freskos angeschaut und im Museum den Mythos kennengelernt. Vorher wusste ich nur, dass der Minotaurus ein Mischwesen mit Menschenkörper und Rindskopf ist. Als ich die ganze Sage das erste Mal gelesen habe, sind mir verschiedene Ungereimtheiten aufgefallen.
In der Sage hilft der Meeresgott Poseidon dem Minos, König zu werden. Minos soll ihm dafür einen bestimmten Stier opfern, aber Minos hält sich nicht an die Vereinbarung. Deshalb will sich Poseidon an ihm rächen. Aber anstatt Minos direkt zu bestrafen, verwünscht er dessen Gattin Pasiphaë. Sie soll ein unstillbares sexuelles Verlangen nach dem Stier ergreifen. Das funktioniert auch. Die Ärmste will unbedingt mit dem Stier schlafen und kriegt das schließlich auch hin.
Die alten Sagen sind nicht eben zimperlich …
Poseidon meinte, sich an Minos rächen zu können, indem er dessen Frau zum Ehebruch verleitet – mit einem sehr unangemessenen Liebhaber. Und bestimmt soll jeder von diesem Ehebruch wissen, deswegen richtet Poseidon es ein, dass Pasiphaë Asterion, den Minotaurus, gebiert. Und was macht Minos, der betrogene Ehemann? Statt das Kind mit dem Rindskopf auszusetzen oder zu töten, lässt er es leben. In einem irrgartenähnlichen Gebäude, das der Baumeister Daidalos entworfen hat, quartiert Minos seinen Stiefsohn ein. Und als der Minotaurus später dort, im sogenannten Labyrinth, umgebracht wird, ist König Minos so wütend, dass er den Baumeister einsperren lässt. Weil das von ihm gebaute Gebäude nicht sicher genug war. Tja, warum hängt Minos derart an dem unehelichen Kind seiner Gattin? Darauf gibt die Sage keine Antwort.
Dabei ist Asterion wirklich kein Sympathieträger. Er braucht Menschen als Futter, und diese Nahrung beschafft ihm Minos. Um nicht seine eigenen Leute zu opfern, zwingt Minos die Athener zur Lieferung von jungen Leuten, die vom Minotaurus verspeist werden. Damit macht sich König Minos ziemlich unbeliebt. Warum tut er das? In der Sage hat er keinen Nutzen vom Minotaurus.
Du hast die Sage für „Der Prinz im Labyrinth“ also neu interpretiert? Welche Fragen hast du dir gestellt?
Ich habe mich gefragt, wie die Sage zustande gekommen ist. Die Griechen, die die Sage aufgeschrieben haben, wollten Kreta vielleicht lächerlich machen oder in ein ungünstiges Licht rücken. Vielleicht war Athen tatsächlich Kreta einmal tributpflichtig gewesen. Welche anderen Teile der Sage könnten wahr gewesen sein?
Ich konnte mir viele verschiedene Geschichten vorstellen. Zum Beispiel hätte ich den Minotaurus mit Eigenschaften ausstatten können, die König Minos große Vorteile verschafften. Eigenschaften, die den Minotaurus für Minos unentbehrlich machten.
Aber dann las ich bei meinen Recherchen, dass „Minos“ vermutlich ein Titel war und „König“ bedeutete. Im minoischen Kreta gibt es keinen Hinweis auf ein Patriarchat. Deswegen hatte ich die Idee, dass es nicht ein Mann, sondern eine Frau war, nämlich Pasiphaë, die „mit Poseidons Hilfe“ an die Macht gekommen ist – und später durch göttlichen Willen bestraft oder verwünscht wurde.
Auch die übrigen Punkte, hast du versucht, aus moderner Sicht „realistischer“ zu gestalten, richtig?
Pasiphaë verliebt sich in den „Stier“ – der bei mir natürlich kein Rind, sondern ein Mensch ist. Sie bekommt ein Kind, Asterion, das nicht so aussieht wie die anderen. Ein Monster, ein Mischwesen nennen es vielleicht die Athener. Dieser Minotaurus wird in meinem Buch „Der Prinz im Labyrinth“ in seinen Gemächern getötet. Und hier kommt der springende Punkt. Im Gegensatz zu Minos hat Pasiphaë allen Grund zu trauern. Ihr Sohn ist ermordet worden. Logisch ist Pasiphaë sauer auf den Baumeister, denn der hätte dafür sorgen sollen, dass ihr Sohn in seinen Gemächern sicher ist. Diese Version mit Pasiphaë als Herrscherin fand ich viel stimmiger als die Geschichte mit König Minos.
Danach habe ich auch alle anderen Punkte, die mir in der Sage seltsam vorkamen, umgeändert. Herausgekommen ist mit „Der Prinz im Labyrinth“ ein Altertumskrimi, in dem ich fantasievoll Fakten mit Sagenelementen vermischt habe.
Wieso den Minotaurus als Krimi?
Das hat sich so entwickelt. Zuerst wollte ich nur eine fiktive, aber realitätsnahe Handlung entwerfen. Eine Geschichte, die sich rein theoretisch hätte zutragen können. Eine Story, die später von den patriarchalen Griechen in den Minotaurus-Mythos umgedichtet wurde, das war mein Konstrukt. Aber dann kamen mir Zweifel bezüglich der Rolle des Theseus. In der Sage führt Ariadne, die Halbschwester des Minotaurus, Theseus zu ihm, damit Theseus ihn töten kann. Als Gegenleistung soll Theseus Ariadne mit nach Athen nehmen und sie heiraten.
Aber Theseus lässt sie auf Naxos zurück – die Gründe dafür sind je nach Version der Sage unterschiedlich. Aber auf jeden Fall heiratet Theseus Ariadne nicht. Dafür aber … das wäre jetzt ein Spoiler für den Roman, deswegen sag ich nicht mehr dazu. Nur so viel: Mir kamen Zweifel, ob Theseus wirklich der Mörder ist. Also habe ich im Roman Daidalos als Ermittler eingesetzt. Ein Mord, ein Verdächtiger, ein Ermittler – das sind die Zutaten für einen Krimi.
Was bedeutet dir der Feminismus? Passt das zusammen, Feminismus und Altertum?
Feminismus heißt, dass ich keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Frauen und Männern anerkenne. Als Biologin ist die Sache für mich klar. Ohne grundsätzliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es keinen Anlass zu glauben, dass patriarchale Herrschaftssysteme selbstverständlich oder die Regel sind.
Die Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben – die Herrschenden haben die Deutungshoheit. Zurzeit liegt die Herrschaft oft in männlicher Hand. Deswegen: Wenn es scheint, dass aus dem Altertum nur wenige Quellen vom Wirken der Frauen berichten, dann liegt es auch daran, dass diese Quellen patriarchal beurteilt werden. Nur ein Beispiel: Ein Brandgrab mit Waffenbeigaben wird oft in den Museen als „Männergrab“ ausgestellt, auch wenn wir keine schriftlichen Quellen vorliegen, die dies rechtfertigen würden.
Das Patriarchat ist für mich nur die Midlifecrisis der Menschheit. Früher gab es keins, bald wird es keins mehr geben, das ist meine persönliche Meinung. Und deshalb passt Feminismus wunderbar zu Altertumsromanen.
Was liegt noch auf deinem Schreibtisch?
Mein Roman über den eisenzeitlichen Silberkessel von Gundestrup, der 1891 in Dänemark in einem Moor gefunden wurde, ist gerade im Lektorat. Der Roman kommt als nächstes auf meinen Schreibtisch zurück und muss ein letztes Mal überarbeitet werden. Anschließend möchte ich entweder eine Fortsetzung von diesem Eisenzeitroman schreiben, die in die Salinen um Hallstadt führt, wo seit 7000 Jahren Salz abgebaut wird. Oder ich greife eine alte Romanidee um das Alte Ägypten wieder auf. Oder ein ganz neues Projekt.
Auf jeden Fall bin ich immer daran interessiert, mit anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu netzwerken, so, wie wir es in unserer Autorinnengruppe KommPlot machen. Aber auch mit Leuten, die bloggen oder sich anderweitig für Literatur interessieren, würde ich gern noch mehr zusammenarbeiten.
Der Altertumsroman Roman „Der Prinz im Labyrinth“ von Charlotte Fondraz ist erschienen bei Books on Demand (BoD). Bestellen kann man das Buch bei Amazon oder im BoD Shop.
Über die Autorin:
Charlotte Fondraz schreibt Altertumsromane. Als Präsidentin eines kunstschaffenden Vereins (Association projekt9) verfasst sie Theaterstücke sowie Szenarien für Kurzfilme und organisiert interaktive Events. Die Autorin und Teilzeithausfrau lebt abwechselnd in der Nähe von Bordeaux und in Bremen. Bevor sie sich der Schriftstellerei widmete, studierte sie in Deutschland und Frankreich Biologie und Anthropologie und war als Offsetdruckerin, Paläopathologin und Übersetzerin tätig.
Charlotte ist Mitglied bei den Bücherfrauen und bei Amnesty International, wo sie ebenfalls schreibt, nämlich Briefe für die Freiheit. Auf ihrer Webseite www.charlotte-fondraz.com berichtet sie in einem Blog über sich und ihre Arbeit.
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